Lucifer ( Der Lichtbringer )
Wie alle so genannten Teufel war Satan ursprünglich ein Gott. Die alten Ägypter nannten ihn die Große Schlange Sata, den Sohn der Erde; er galt ihnen als unsterblich, weil er täglich im Schoß der Göttin wiedergeboren wurde. Wenn ein Mensch die Gebet sprach, die ihn mit dem Gott gleichsetzten, konnte auch er unsterblich werden wie Sata: "Ich bin die Schlange Sata, deren Jahre unendlich sind. ich lege mich tot nieder. Ich werde täglich geboren. Ich bin die Schlange Sata, ich lebe an den äußersten Enden der Welt. Ich lege mich sterbend nieder. Ich werde geboren. Ich werde neu. Ich erneuere meine Jugend täglich." Sata scheint ein unterirdischer Aspekt des Horus-Ra, der Sonne gewesen zu sein; er ist Phyton vergleichbar, der unterweltlichen Schlangengestalt des Apoll, der bei den Juden Apollyon, Geist des Abgrundes, hieß. Er war der phallische Gemahl der archaischen Göttin Sati oder Setet, die dem Jungfrauen Aspekt der Kali entsprach und einst Oberägypten - das Land der Sati - regiert hatte. Ein weiterer Name des Gottes war Set; der biblische Set war vielleicht nicht unsterblich, erreichte aber immerhin ein Alter von 912 Jahren (Genesis 5,8). Die enge Verbindung der Schlange mit den lebensspendenden Quellen der Tiefe war in dynastischen Zeiten immer noch eine bedeutende Vorstellung; Sata wurde nun zur Keheret-Schlange, die in einer yonischen Öffnung des Isis-Tempel lebte und wie die delphische Phython-Schlange Orakel aussprach. Ihre Anhänger waren der Ansicht, daß Unglück über das Land hereinbrechen würde, wenn die Schlange das heilige Loch der Göttin verließe. Die Schlange galt oft als Symbol für das andere Ich des Sonnengottes, die schwarze Sonne, den Geist der Nacht und des Todes. Während seiner dunklen Stunden vereinigte er sich als Gott mit der Sonnenscheibe. Dieser Vorstellung entsprachen stets die gelichen Muster: Osiris - Set, Apollo - Python, Anu - Aciel, Baal - Yamm usw. Der dunkle Gott war der Widersacher des lichten Gottes - und zwar nicht, weil er ursprünglich als böse angesehen wurde, sondern weil er den schlafenden oder ruhenden Zustand des gleichen Gottes darstellte. Sata, der ständig in der Unterwelt lebte, erscheint in russischen Volksmärchen als die große Unterweltschlange Koshchei, die Todlose. In seiner Rolle als "Widersacher" wurde er schließlich der unsterbliche Drache, den der Sonnenheld töten mußte, so wie die Menschen gerne den Geist des Todes töten würden, der in ihren eigenen Körpern wohnt, den archetypischen "Verräter", der sie früher oder später ihrer Vernichtung zuführt. Für die Hebräer war ein "Satan" ein Widersacher im Sinne eines Richters: einer, der die Redlichkeit eines anderen prüfte, indem er ihm Fangfragen stellte oder Rätsel zu lösen gab. Bei seinem ersten biblischen Auftritt erscheint "Satan" als einer der Söhne Gottes und empfiehlt Gott, den Glauben des Hiob zu prüfen (Hiob 1, 6). Im hebräischen Urtext war Satan einer der bene ha-elohim, der Söhne "der Götter"; die Bibelübersetzer haben den Plural allerdings stets als Singular wiedergegeben, um den Umstand zu verbergen, daß die biblischen Juden ein ganzes Pantheon mannigfaltiger Gottheiten verehrten. Als Jesus sagte, er habe den Satan vom Himmel herabfahren sehen wie eine Blitz (Lukas 10, 18), setzte er diesen "Sohn Gottes" mit der Blitz-Schlange Luzifer gleich. Dies war eine Übernahme des persischen Mythos von der Blitz-Schlange Ahriman, die vom Gott des Lichtes des Himmels verwiesen und in die Unterwelt geschleudert wurde. Die Perser waren der Ansicht, der Gott und die Große Schlange seien Zwillingsbrüder - ein Gedanke, der zunächst in die gnostische Überlieferung und von dort aus in mittelalterliche Zauberbücher einging; in diesen Büchern wurde Satan mit den mystischen Gottesnamen wie Messias, Soter (Erlöser), Emmanuel (Immanuel), Saboth (Herr der Heerscharen), Adonai (der Herr) angerufen. Satan hörte nicht nur auf Gottesnamen, er konnte sogar nach Belieben als Gott in Erscheinung treten. Die mittelalterliche Kirche beharrte darauf, daß Satan "sich in einen Engel des Lichtes verwandeln konnte"; so konnte jeder, der sich einer nicht abgesegneten Engelserscheinung rühmte, von den Inquisitoren der Teufelsanbeterei bezichtigt werden. - die Inquisitoren selbst waren natürlich stets in der Lage, präzise zwischen einem wirklichen Engel und einem als Engel verkleideten Teufel zu unterscheiden. Islamische Schriftsteller bezeichneten den Satan als Shaitan oder Iblis. Er herrschte über das Geschlecht der djinn, der "Genien", die einst - wie die römischen Genien - Ahnengeister waren. Die djinn verspotteten den Propheten Allahs; deswegen griff eine Heerschar der Engel sie an, tötete viele von ihnen und nahm den Rest gefangen. Zu den Gefangenen zählte auch Iblis-Shaitan, der identisch mit dem Azazel war, dem die Juden am Tag der Versöhnung Sündenböcke opferten. Ibkis-Shaitan hatte gegen Allah rebelliert, als dieser den Adam geschaffen hatte und befahl, daß alle Engel sein Geschöpf verehren sollten. Allah sagte im Koran: "Wir geboten den Engeln, huldigt dem Adam, und sie verehrten ihn alle, nur nicht Iblis, der von den Jinn war." Der Hintergrund dieser Geschichte mag aus dem frühen gnostischen Philippus-Evangelium stammen, das die Kirche aus naheliegenden Gründen mißbilligte: "Menschen machen sich Götter und verehren ihre Schöpfung. Es sollte den Göttern geziemen, die Menschen zu verehren!" Das größte Vergehen des Satan scheint gewesen zu sein, daß er sich weigerte, dem Menschen Ehrerbietung zu erweisen; er kannte die Fehler des Menschen sehr wohl und ließ auch an Gott kein gutes Haar, weil dessen himmlische Herrschaft zu streng war und zu einer Rebellion führte. Mittelalterliche Christen interpretieren alles, was nicht in ihre engefaßte Lehre paßte, als Ausdruck eines Satanskultes: Astrologie, Magie, heidnische Zeremonien, Wahrsagen usw.